FAZ-Portrait

FAZ-Bericht von 29. Nov. 2023

Beruf: Thorsten Buch an seinem Arbeitsplatz im Industriepark    Foto: Michael Braunschädel

Berufung: Thorsten Buch als Fahrdienst- Anbieter                          Foto: Michael Braunschädel


UNZERTRENNLICH

Zwischen Rohren und Rolls-Royce

Wie es ein Facharbeiter geschafft hat, sich einen edlen Oldtimer zu kaufen und zum Unternehmer zu werden.

Von Patricia Andreae


Der Alarmton hat sich bei Thorsten Buch tief eingeprägt. Verschiedene gibt es davon im Industriepark Höchst. Unterschiedliche Tonfolgen weisen darauf hin, was zu tun ist. Ob man im Gebäude bleiben oder es schnellstens verlassen soll. Selbst jeder Besucher muss das lernen und wird erst aufs Gelände gelassen, wenn er einen Test besteht. „Das ist auch gut so“, sagt Thorsten Buch mit ernster Miene. Der Schreck vom Frühjahr 1993 stecke ihm bis heute in den Knochen, erzählt er auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz bei dem Unternehmen Kuraray auf dem Gelände des Industrieparks. Damals hatte es ganz in seiner Nähe einen Störfall mit einem Toten gegeben. „So was vergisst man nicht.“
 
Im Eingang des Backsteinbaus greift Buch fast schon automatisch zu seiner Karte und steckt sie in ein anderes Fach der Stecktafel. Dabei geht es ihm nicht um die Arbeitszeit, sondern um die Sicherheit. „Im Notfall weiß man so, wer alles im Gebäude ist“, erklärt Buch, warum das Umstecken von abwesend zu anwesend so wichtig ist. Aufzupassen, dass es nicht zu einem Störfall kommt, ist sein Job bei dem japanischen Unternehmen, das die Grundstoffe für Folien und Beschichtungen produziert, die zum Beispiel Spülmaschinentabs umhüllen oder das Glas in der Kuppel des Reichstags bruchsicher machen. Mit dem Aufzug aus dem Jahr 1969 geht es nach oben, in die Sicherheitszentrale des Unternehmens. Thorsten Buchs Aufgabe ist das Ziehen von Proben und die Überwachung der Anlagen und Prozesse an den 31 Bildschirmen in der Leitzentrale und bei Kontrollgängen durch die Hallen und Türme voller Röhren, in denen die chemischen Prozesse der Produktion ablaufen.


Das nötige Fachwissen hat er sich selbst beigebracht


„Die Chemie muss stimmen“, ist für den Mann, der in diesem Metier arbeitet, seit er 1981 mit 15 Jahren seine Ausbildung bei der Hoechst AG begonnen hat, ein Leitmotiv. Und es steht auch für das kleine Gewerbe, das er sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Dort gilt es für das Verhältnis zu seinen Kunden. Begonnen hat allerdings auch das eigentlich schon in seiner Lehrzeit. Da er damals noch zu Hause wohnte, riet sein Vater ihm, jeden Monat einen kleinen Betrag von seinem Lehrgeld in einem Sparplan anzulegen, „fürs Alter oder um sich damit irgendwann etwas ganz Verrücktes zu leisten“. Als der Betrag fällig wurde, waren es 17.000 Euro. Und Buch entschied sich, die nicht fürs Alter zur Seite zu legen, sondern sich einen Traum zu erfüllen: einen eigenen Rolls-Royce. Er suchte eine Weile und fand dann seinen Silver Shadow 1 aus dem Jahr 1969. Ein „Butterbrot-Rolls“, wie er sagt, „den man sich noch leisten konnte.“ Auf Portalen und Oldtimerschauen hatte er sich umgesehen und dann den Wagen mit den roten Ledersitzen entdeckt, der nur vier britische Vorbesitzer hatte. Und der erstmals am 7. Mai 2015 in Deutschland zugelassen worden war. „Das war der Todestag meines Vaters“, erzählt Buch. Für ihn war das ein Zeichen.


Seither ist er Rolls-Royce-Besitzer, ein Fahrzeug im Wortsinne aber hatte er noch nicht. Der Wagen hatte als Geldanlage jahrelang in einer Garage gestanden. „Erst einmal mussten die Standschäden beseitigt werden“, berichtet Buch und klingt dabei, als sei er schon immer ein Fachmann für Kfz-Restaurierung gewesen. Doch das nötige Fachwissen hat er sich selbst beigebracht – wie so vieles, seit er die Hauptschule abgeschlossen hat.

Denn er hat es nicht bei der Ausbildung zum Chemiefacharbeiter belassen. Nach verschiedenen Weiterbildungen legte er im Jahr 2000 die Prüfung zum Industriemeister mit Fachrichtung Chemie ab und 2004 die zum technischen Betriebswirt. In der Zwischenzeit gab es auch längst keine Hoechst AG mehr, wo er zunächst im Sulfatbetrieb und später im Povalbetrieb gearbeitet hatte. Seine Arbeitgeber hießen zwischenzeitlich Virteon und Clariant und schließlich seit 2001 Kuraray.
 
Die Arbeit in Zwölf-Stunden-Schichten sorgt dafür, dass er nicht täglich von seinem Heimatort Bad Camberg, wo er aufgewachsen ist, in den Frankfurter Industriepark pendeln muss, sondern auch genügend freie Tage hat, die er dem Rolls widmen kann. Zunächst waren da die Reparaturen, um den Wagen, der „in 18 Monaten mehr gefahren ist als in den 18 Jahren zuvor“, überhaupt fahrtüchtig zu machen. Dass der Silver Shadow ihn mehr kosten würde als die Anschaffung, das war Buch klar gewesen. Doch es läpperte sich.


Andererseits fiel der Wagen auf, und es gab immer mal wieder Bekannte, die fragten: „Du hast doch dieses schöne Auto, unsere Freunde heiraten demnächst, könntest du sie vielleicht fahren?“ Als jemand, der nicht nur bei seinem Auto, sondern auch bei seiner eigenen Kleidung Wert auf britische Eleganz legt, beließ Buch es nicht beim Chauffieren, er bot seinen Gästen auch ein kleines Picknick mit gekühlten Getränken und frischem Obst. „Das Hochzeitspaar kann dann mal einen Moment für sich sein und den Augenblick genießen“, beschreibt Buch seinen Service, und der, das ist spürbar, liegt ihm am Herzen.


Es gibt immer etwas zu tun


Nach ein paar solcher Freundschaftsdienste kam Buch die Idee, dass solche Fahrten auch helfen könnten, die Kosten für Reparaturen und Restaurierungen zu refinanzieren. Schließlich brauchten Holzfurniere und Lederausstattung immer wieder reichlich Pflege, und auch an anderen Teilen einer Karosse, die mehr als 50 Jahre alt ist, ist immer wieder etwas zu tun. Vor allem dann, wenn man mit einem solchen Wagen Hochzeitspaare oder Jubilare befördern will. Und das war das Konzept für das Unternehmen „Feine Fahrten“, das Buch entwickelt hatte. „Aber ich hatte ja null Erfahrung auf diesem Gebiet.“


Als Fachmann für sichere Abläufe wollte Buch aber auch hier alles ordnungsgemäß nach Vorschrift machen. Der Mittfünfziger musste diverse Papiere beibringen und zum Arzt gehen, um sich die körperliche und geistige Verfassung für den Personenbeförderungsschein bescheinigen zu lassen. Sein Wagen brauchte eine weitere Prüfung vom TÜV, damit er für das Gewerbe zugelassen werden konnte. Und eine Unternehmerprüfung bei der IHK musste Buch auch noch ablegen. Das alles beschäftigte ihn während der Pandemie, als es ohnehin kaum Hochzeiten und runde Geburtstage gab. Zum Jahresende 2021 hatte er dann endlich alle nötigen Papiere beisammen. Und seine Familie hatte sogar Flyer für ihn drucken lassen, damit er nun richtig ins Geschäft einsteigen konnte.


„Das ist absolut mein Ding“


Das hat sich rentiert. Im Raum Bad Camberg habe er inzwischen immer wieder Aufträge, berichtet der Mann mit den grauen Schläfen und dem britischen Karojackett. Für seine „Feinen Fahrten“ können die Kunden ihn aber auch im eigens dafür bei einem Wiesbadener Maßschneider angefertigten Cut buchen. „Ich möchte meinen Kunden schließlich etwas Besonderes bieten, der rote Teppich ist bei mir inklusive!“ Und wenn die Fahrt noch etwas romantischer werden soll, dann spielt Buch seinen Kunden auf Wunsch auch ein Ständchen auf der Viola – im Alter von 47 hat er begonnen, das zu lernen.


Wenn Thorsten Buch nahe der Bad Camberger Kreuzkapelle neben seinem Auto steht, dann wird er immer wieder von Spaziergängern angesprochen und zu dem schönen Wagen beglückwünscht. „Ich bin froh, dass ich das gemacht habe, das ist absolut mein Ding“, sagt er mit hörbarer Überzeugung in der Stimme. Einen Hauptjob will er aus den Fahrten aber nicht machen – nicht vor seiner Pensionierung jedenfalls. Was dann komme, müsse man noch sehen. Für die Zukunft wünscht er sich ab und zu auch mal eine Buchung seiner Dienste für Prominente. Berührungsängste hat er da keine. Denn schon als Kind ist er so manchem Star begegnet, bei den Premieren in dem Lichtspieltheater, das sein Vater in Wiesbaden leitete. In einem Fotoalbum hat er die Erinnerungen daran gesammelt. Darunter ein Foto, das ihn als Jungen mit Bud Spencer zeigt. Der hatte schließlich auch diverse Talente und Berufe in seinem Leben.



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